Seit dem Frühsommer 2013 ist Markus Lust stellvertretender Chefredakteur des österreichische Ablegers des Lifestyle-Titels „VICE“. Der studierte Theater-, Film- und Medienwissenschafter koordiniert gemeinsam mit Chefredakteur David Bogner rund zehn freie Redakteure und eine Vielzahl an Autoren in Österreich und der Schweiz.
1. Journalisten sind in der privilegierten Position, einen abwechslungsreichen Job auszuüben: Was gefällt Ihnen noch an Ihrem Beruf?
Das Beste an meinem Job ist, dass ich mich hauptsächlich mit Dingen beschäftigen kann, die für andere Freizeit sind. Dadurch verschwimmen zwar auch die Grenzen der Arbeit immer mehr, aber da ich nicht nur Managing Editor, sondern auch selbst Teil der VICE-Zielgruppe bin, habe ich damit kein Problem. Solange ich bei der Arbeit Sätze sagen kann wie „Kannst du bitte ‚Hässliche Muschis’ auf Facebook posten?“ oder „Der ‚Koreanische Kackewein’ funktioniert super“, ist alles gut. Außerdem würde ich ehrlicherweise genau dasselbe tun, wenn mich niemand dafür bezahlen würde. Aber das sollte unser CEO besser nicht hören.
2. Wo viel Licht ist, ist meist auch viel Schatten: Was sind die Schattenseiten des Journalistenberufs?
Das klassische Bild unserer Berufsgattung ist immer noch von rasenden Reportern in alten B-Movies geprägt, bei denen es zum richtigen Autor nicht ganz gereicht hat und die deshalb lieber das Leben der anderen nacherzählen. Mit dieser Einschätzung ist man als Redakteur immer noch manchmal konfrontiert. Und natürlich stimmt diese Wahrnehmung auch insofern, als man sich der Story immer ein bisschen mehr verpflichtet fühlt als irgendwelchen persönlichen Befindlichkeiten – zum Beispiel von Freunden, die einem etwas erzählen und dann nicht wollen, dass man der Sache nachgeht. Aber so viel Schatten ist das verhältnismäßig gar nicht.
3. Was treibt Sie in Ihrem Beruf als Journalist an?
Also ich sehe mich im klassischen Sinne gar nicht als Journalist. Das liegt vielleicht daran, dass ich mit dem Begriff immer auch eine leicht prätentiöse Selbstbeschreibung verbinde. Ein bisschen so, wie wenn sich Autoren selbst „Schriftsteller“ nennen oder Menschen sich mit ihrem akademischen Titel am Telefon melden. Ich würde sagen, dass wir bei VICE in erster Linie Geschichtenerzähler sind. Das entspricht auch viel eher meiner Motivation: Ich möchte mit unseren Lesern in Kontakt treten, ihnen Storys vermitteln und sie mit Inhalten versorgen, die sie so nirgendwo sonst zu hören oder sehen bekommen. Egal, ob bei unseren Print-, Online- oder Video-Beiträgen. Was ich nicht möchte, ist eine künstliche Trennwand zwischen den „VICE“-Lesern und unseren Geschichten einziehen, indem ich mich als Journalist von ihnen abkapsle.
4. Wenn Sie Presseaussendungen zugeschickt bekommen, welche Themenfelder interessieren Sie da besonders und welche interessieren Sie überhaupt nicht?
Je skurriler, relevanter und unbehandelter ein Thema ist, umso besser. Wichtig ist für uns als Lokalredaktion eines internationalen Mediums auch, dass die Themen einen deutlichen Österreichbezug und dennoch hohe internationale Relevanz haben. Ich gebe auch zu, dass wir in Sachen PR-Inhalte eine harte Nuss sind, weil „VICE“ in Print nur große Reportagen und auch online keine reinen Produkt-Features bringt. Was die Themen angeht, gibt es eigentlich nichts, das uns kategorisch gar nicht interessiert. Die letzte Presseaussendung, die wir für einen Beitrag im „VICE“ verwendet haben, handelte von einem Mode-Grabstein-Unternehmen, bei dem man sich sein Grab mit Swarovski-Steinen verzieren lassen konnte – das hat es dann unter dem Titel „Friedhof-Fashion“ ins Heft geschafft.
5. Wie werden Sie im Berufsalltag am liebsten mit PR-Aussendungen, Informationen und Einladungen versorgt?
Vom Kanal her am allerliebsten per Mail – auf jeden Fall aber schriftlich, damit man sich in Ruhe selbst ein Bild von der Geschichte und ihren Akteuren machen kann. Am exakt anderen Ende des Spektrums stehen übrigens PR-Agenturen, die sofort, nachdem sie einen am Handy nicht erreicht und eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen haben, beim Empfang anrufen und alles daran setzen, das Überraschungsmoment für eine Zusage zu nutzen. Wer solche Taktiken nötig hat, holt sich bestenfalls Lippenbekenntnisse ab, aber noch lange keine Clippings. Warum sollte auch in der PR besser funktionieren, was schon bei den Zeugen Jehovas nicht hinhaut?
6. An welchem Wochentag und zu welcher Tageszeit sind Sie in Ihrem Job am ehesten ansprechbar und wann sollte man Sie besser nicht kontaktieren?
Das kann ich so pauschal nicht sagen – nicht zuletzt deshalb, weil die Aussage in genau dem Moment, in dem ich hier eine Uhrzeit nenne, bereits nicht mehr stimmen würde, haha. Ich checke meine Mails aber die ganze Zeit über, auch sonntags.
7. Was können Sie in Zusammenhang mit PR-Agenturen gar nicht leiden?
Generell kann ich es nicht leiden, wenn Leute ihre Arbeit an andere weiterdelegieren. Aus eigener Erfahrung in der PR kann ich sagen: Wer immer nur den kürzesten Weg zum nächsten Presseclipping sucht, wird ziemlich lange auf der Suche sein. Natürlich ist die Arbeit in der PR auch nicht einfach, weil es eine Kunst für sich ist, die richtige Balance zwischen zu wenig Service (vom Format „Mach was draus“) und zu viel Bevormundung (nach dem Motto „Ich sag dir, was du draus machen sollst“) zu finden. Aber ich glaube, eine bessere PR-Welt ist möglich. Und sie beginnt mit der einfachen Frage: „Möchtest du dazu überhaupt was machen?“
8. Können Sie sich an einen Fall erinnern, wo Sie sich ganz besonders über eine PR-Agentur oder PR-Stelle geärgert haben?
Sagen wir es als Faustregel: Wenn sich ein Event am besten mit den Worten „Großraumdisko“ und „Ö3“ beschreiben lässt, ist „VICE“ weder der richtige Medienpartner noch die richtige Anlaufstelle für die Berichterstattung.
9. Erinnern Sie sich auch an einen Fall, wo Sie sich ganz besonders über eine PR-Agentur oder eine PR-Stelle gefreut haben?
Ja, sicher. Eigentlich fast immer, wenn PR-Agenturen verstehen, dass ein Boilerplate noch keine Story ist und Medien nicht so gerne unbezahlte Werbung abtippen.
10. Was zeichnet für Sie eine gute PR-Agentur oder einen guten PR-Berater aus?
Hohe Stressresistenz, aber niedrige Erkenntnisresistenz. Und eben die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen – übrigens nicht nur bei den Redakteuren, sondern zuvor auch beim Kunden.
11. Worauf sollten PR-Agenturen Ihrer Ansicht nach ihr Hauptaugenmerk in Sachen Medienarbeit legen?
Die eigentliche Medienarbeit sollte dort beginnen, wo Agenturen mit Kunden reden. Eine Berufskrankheit im Agenturbereich generell – nicht nur der PR – ist ja der vorauseilende Gehorsam gegenüber dem Kunden und die bedingungslose Selbstverleugnung des eigenen Instinkts. Wer schon beim Kunden nicht zu allem Ja und Amen sagt, muss später nicht bei den Medienvertretern die absurden Wünsche der Auftraggeber ausbügeln und herumdrucksen. Manchmal hilft schon ein simples: „Nein, Ihr regionales Molkerei-Produkt wird es NICHT auf die Titelseite des ,Standard‘ schaffen.“ Insgesamt ist es immer das Wichtigste, den Bullshit-Detektor der Menschen da draußen zu umgehen. Und das macht man am besten, indem man den Menschen einfach keinen Bullshit andreht.
12. Wie würden Sie Ihre Aufgabe bei „VICE“ charakterisieren?
Als Managing Editor bin ich gemeinsam mit unserem Editor-in-chief David Bogner für die Qualitätssicherung in Print und Online im Raum Österreich und der Schweiz zuständig. Wir achten darauf, dass „VICE“ von uns selbst verschont bleibt, indem wir nicht uns, sondern die junge Generation rund um uns ins Zentrum rücken. Gleichzeitig ist es natürlich meine Aufgabe, Themen aufzuspüren, neue Geschichten zu erkennen, Texte zu redigieren und so vielen jungen Stimmen wie möglich eine Plattform zu bieten.
13. Wofür steht „VICE“ in wenigen Worten und was macht es als Medium unverwechselbar?
Was uns einzigartig macht, müsste man vermutlich unsere Leser fragen, aber ich würde sagen: „VICE“ ist sowohl das CNN als auch das MTV der jungen Generation. Wir sind nah an der Zielgruppe und immer noch näher am Geschehen. Wir sind das Gegenteil von widergekäuten Nachrichten, in Print-, Online- und in Videoform. Außerdem behandeln wir alle Themenfelder gleichwertig und glauben, dass es ein Medium genauso Platz für investigativen Journalismus wie für gute Modefotostrecken haben muss. Wir sind die Ersten bei jedem Aufstand und jeder Umwälzung, egal wo auf dem Globus. Und wir haben keine Angst vor subjektiven Statements und kontroversen Themen. Das ist es im Groben, glaube ich.
14. Wenn Sie nicht Journalist wären, welchen Beruf würden Sie dann gerne ausüben?
Als ich mit siebzehn kurz davor war, in der 7. Klasse Gymnasium durchzufallen, hatte ich den Alternativplan, die Schule abzubrechen und Koch zu werden. In meiner Vorstellung sah das Leben als Küchenchef so aus wie in Anthony Bourdains Autobiografie Kitchen Confidential: Wild leben, hart feiern, gut essen und hin und wieder neue Gerichte mit Trüffel und anderen sündhaft teuren Zutaten erfinden. Dann erfuhr ich, dass man das erste Lehrjahr eigentlich nur mit Kartoffelschälen verbringt und habe doch ein bisschen mehr für meine Prüfungen in Mathematik und Chemie gelernt. Aber vielleicht wird das mit dem Kochdasein ja trotzdem noch – falls ich von der Redaktionstätigkeit irgendwann genug habe und das mit den Kartoffeln jemals in den Griff bekomme.
Beruflicher Werdegang: Online-Redakteur beim Ars Electronica Festival, Projektmanagement bei tfactory Trendagentur, Blogger bei Tellmore, PR-Consultant bei Himmelhoch PR, freier Redakteur „VICE Media Alps“, Managing Editor „VICE Media Alps“
Geburtsdatum: 21. Oktober 1982
Hobbys: Wrestling schauen, Magazine lesen, Cocktails mischen, Texte schreiben
Lieblingsort in Österreich: Jedes Dach, auf dem man trinken kann
Lieblingsort weltweit: Katz Deli, New York und der Strip in Las Vegas
Lieblingsautor: Hunter S. Thompson
Lieblingsgetränk: Whisky Sour
Lieblingsessen: Zwiebelfleisch (vorher), Linzer Torte (nachher)
Lieblingsfilm: „Der letzte Mann“ und „Poultrygeist: Night of the Chicken Dead“
Lieblingsschauspieler: Emil Jannings und Philip Seymour Hoffman
Markus Lust ist stellvertretender Chefredakteur des österreichische Ablegers des Lifestyle-Titels „VICE“.