Im ersten Jahr hat sich der Presserat mit Eigenwerbung zurückgehalten. Dies soll sich im kommenden Jahr mit einer Kampagne ändern.
Der Österreichische Presserat feiert nach seiner Wiedergeburt im Jahr 2010 dieser Tage seinen ersten Jahrestag. Bereits in den ersten zwölf Monaten wurde die Verfahrensordnung erneuert und praxistauglicher gemacht, wodurch nun auch Medien öffentlich angeprangert werden können, die den Presserat nicht anerkennen. Bisher wurden 65 Fälle behandelt, wobei die meisten einvernehmlich zwischen den Beschwerdeführern und den betroffenen Medien gelöst wurden, wie Geschäftsführer Alexander Warzilek erklärt. Fast alle wichtigen Zeitungen und Magazine sind dem Presserat im Laufe der vergangenen zwölf Monate beigetreten. Neben der „Kärntner Tageszeitung“ und der „Presse“ fehlen aber noch vor allem die drei großen Boulevardmedien „Kronen Zeitung“, „Heute“ und „Österreich“, die sich auch in Hinkunft querlegen dürften. „Im Endeffekt kommt uns aber keiner aus“, betont Warzilek. Schließlich kann der Presserat mit der am 6. Oktober erneuerten Verfahrensordnung auch von sich aus gegen Nicht-Mitglieder tätig werden und seine Entscheidungen auch veröffentlichen. Für Warzilek war dies ein „wichtiger Schritt“, wie er betonte. „Unsere größte Waffe ist es schließlich, Verstöße öffentlich anzuprangern.“ Wer Mitglied ist, muss im Extremfall auch eine Verurteilung der Institution in der eigenen Zeitung veröffentlichen, die meisten Fälle werden aber ohne öffentliche Entscheidungen gelöst, sagte Warzilek. Damit beschäftigen sich Ombudsleute, die geschädigte oder verärgerte Leser mit den Redaktionen zusammenbringen und so eine Lösung herbeiführen – manchmal reicht den Betroffenen auch eine einfache Entschuldigung.
Wer den Presserat anruft, verwirkt nach wie vor den Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, was trotz öffentlicher Kritik nicht geändert wurde. Warzilek verweist dahingehend auf andere europäische Staaten, die diesen Rechtsverzicht ebenfalls implementiert hätten. Dass damit nur kleine Fälle an das Gremium herangetragen werden, glaubt er nicht: Schließlich könne der Rat ja auch von sich aus tätig werden – zuletzt etwa im Fall der Eissalonbesitzerin Estibaliz C., die wegen Verletzung der Unschuldsvermutung und Beschimpfung mehrere Medien vor den Kadi gebracht hatte. Ansonsten habe man „kein Problem, auch in kleinen Fällen medienethische Positionen zu beziehen“, sagte Warzilek. „Für mich ist kein Fall zu klein.“
Entscheidungspraxis für medienethische Angelegenheiten
Die Trennlinie zur Gerichtsbarkeit zieht der Jurist sehr scharf: Während sich diese an den gültigen Rechtsnormen orientiere, gelte für den Presserat ausschließlich der Ehrenkodex der österreichischen Presse als Entscheidungsgrundlage. Dass sich die Gerichte manchmal auch an den Entscheidungen des Gremiums orientieren, sei durchaus möglich. Übergeordnetes Ziel des Presserates ist es auch, mit öffentlich kommunizierten Urteilen eine Entscheidungspraxis für medienethische Angelegenheiten darzulegen. Wobei auch die einvernehmlich beigelegten – und daher nicht öffentlich kommunizierten – Konflikte für den Juristen Bedeutung haben, wie der Geschäftsführer betonte: „Es ist ein schönes Gefühl, wenn es ein Ergebnis gibt, mit dem alle Seiten zufrieden sind.“
Die Bandbreite von Fällen, die an den Presserat herangetragen wurden, reicht von Verletzungen der Persönlichkeitsrechte, Beschwerden über kampfhundefeindliche Kolumnen oder Protesten gegen Abbildungen vom gelynchten libyschen Machthaber Muammar Gaddafi. Letzterer Fall zeige auch die Möglichkeiten des Gremiums auf, so Warzilek: „Vor einem österreichischen Gericht wäre das wohl nicht verhandelt worden.“
Im ersten Jahr hat sich der Presserat mit Eigenwerbung zurückgehalten. Dies soll sich im kommenden Jahr mit einer Kampagne ändern, sagte der Geschäftsführer. Der Österreichische Presserat ist im Vorjahr nach acht Jahren ohne ein derartiges Gremium neu gegründet worden. Anfang November nahm er seine operative Tätigkeit auf. Trägerverbände sind der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ), die Journalistengewerkschaft, der Österreichische Zeitschriften- und Fachmedienverband (ÖZV), der Verband der Regionalmedien Österreichs (VRM), der Verein der Chefredakteure sowie der Presseclub Concordia.