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Sprachkurs in „Europäisch“

Planet Brüssel funkt SOS: „Wir werden nicht verstanden.“.In den Gebäuden der EU spricht man nicht nur 30 Sprachen, mehrere pro Land, man spricht auch so, daß man im übrigen Europa nicht verstanden wird.
Über Einladung des Europäischen Parlaments hatte ich Gelegenheit zu einem Sprachkurs in „Europäisch“.

Tartarenmeldungen
In mehreren Gesprächen kam ein einziges Haupt-Anliegen zutage: „Ihr Journalisten versteht uns nicht und macht euch in euren Medien über uns lustig.“

Aktueller Anlaßfall war der Aufschrei der Kronen-Zeitung, die EU wolle das Überziehen von Bankkonten verbieten. Keine Rede davon. Es soll lediglich den Banken verboten werden, ohne Vorwarnung ungedeckte Überweisungen durchzuführen und saftige Überziehungsspesen zu verrechnen.

Das tun die Banken nämlich auch dann (und mit Vorliebe), wenn das Geld schon auf dem Konto liegt, aber durch die so genannte „Valutierung“ so betrachtet wird, als sei es noch nicht da. (Ich weiß, wovon ich rede, denn das ist mir selbst im Juni des vorigen Jahres bei einer großen, prominenten Bank passiert.)
Das soll nun europaweit abgestellt werden. Den vereinbarten Überziehungskredit mit Voraus vereinbarten Konditionen will man natürlich nicht verbieten.

Beschuldigungen
Schmerzen bereitet den Abgeordneten auch die Berichterstattung über eine Armuts-Konferenz auf Barbados. Deren Konferenzort wird traditionell zwischen Europa und den Entwicklungsländern gewechselt. Die nächste Konferenz ist in Wiesbaden.

Barbados hat zu Medienkommentaren über Vergnügungsreisen geführt. In diesem Fall war es nicht die Krone, sondern Bild. Die Betroffenen, die in Barbados genau so gearbeitet haben wie vorher in Wien, (wo auch eine Stadtrundfahrt auf dem Programm stand,) fühlen sich ungerecht beschuldigt.

Sprachregelungen
Wer die EU verstehen will, muß neue Wörter lernen und bekannten Wörtern eine neue Bedeutungen geben.

+ Parlament ist nicht gleich Parlament. In der EU ist das Parlament eine Kontrollinstanz ohne „Regierungspartei“ und „Opposition“. Es darf zwar frei darüber entscheiden, was es beraten will, aber es hat nicht das bei uns übliche „Initiativrecht“, Gesetze vorzuschlagen.

+ Ähnlich wie bei uns arbeitet das EU-Parlament in „Ausschüssen“. Deren Mitglieder sammeln ein gehöriges Fachwissen an, verstehen aber oft wenig vom Sachgebiet eines anderen Ausschusses. Trotzdem erwarten sie von den Medien ein übergreifendes Fachwissen und eine entsprechend fachliche Berichterstattung.

+ Jeder Ausschuß, aber auch das Plenum, entwickelt eine eigene Sprache. Da schwirren die exotischsten Orte durch den Raum wie bei einem Geographie-Colloquium – und jeder soll wissen, was am jeweiligen Ort beschlossen wurde. Das geht sich bei Maastricht und Schengen gerade noch aus, aber ich habe zum Beispiel keine Ahnung, was möglicherweise in Barbados beschlossen wurde.

+ Dazu kommt eine Vielzahl neuer Fachausdrücke. Ich habe zum Beispiel erstmals von „Comitologie“ gehört. Man versteht darunter das Anwendbarmachen politisch ausgehandelter Richtlinien. Dies geschieht zum Beispiel dadurch, daß man die im Text verwendeten Wörter neu (oder oft erstmals) explizit definiert. Man spricht von „Comitologieverfahren“ und „Comitologieausschüssen“.

Wessen Pflicht?
Es ist müßig, Schuldige für die Sprachverwirrung zu suchen. Aufgerufen zu Lösungen sind alle Beteiligten.

Die Medien sehen ihre Aufgabe im Übersetzen zwischen Informanten und Konsumenten. Wie jeder Dolmetscher müssen sie dafür sorgen, daß sie sowohl die Sprache beherrschen, aus der sie übersetzen, als auch jene, in die sie übersetzen.

Die Abgeordneten in Brüssel müssen erst einmal dieses Verhältnis verstehen und akzeptieren, daß ihre Aussagen eben nicht so in der Zeitung stehen können, wie sie im Original lauteten – es sei denn, sie bedienen sich nicht ihrer Fach-, sondern der Umgangssprache.

Offen bleibt das Problem der Fehlinformation. MdEP Eva Lichtenberger (Grüne) ist im Gespräch mit einer Delegation des Österreichischen Journalisten-Clubs (ÖJC) um die Antwort nicht verlegen: „Da geht es Ihnen wie uns mit den Lobbyisten.“

Das sollten sich die Lobbyisten merken. Auch sie müssen „Europäisch“ lernen. (obs 3/2007/L)

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